Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 23.10.2014 – 2 AZR 865/13) hat kürzlich entschieden, dass Strafurteile im Wege des Urkundenbeweises in einem Kündigungsschutzprozess zu verwertet werden können.
Der Fall:
Der Kläger war seit über 20 Jahren bei dem beklagten Land als angestellter Lehrer beschäftigt. Während einer Unterrichtsstunde soll er einer elfjährigen Schülerin über das Haar gestreichelt sie unsittlich berührt, sowie mit Worten belästigt haben. Daraufhin kündigte das Land nach Anhörung des Personalrates das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung. Der Kläger wurde vom Amtsgericht wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Gegen die ausgesprochene Kündigung erhob er Kündigungsschutzklage.
Die Entscheidung:
Die Kündigungsschutzklage des Lehrers hatte keinen Erfolg. Das BAG hat endgültig festgestellt, dass die Kündigung zu Recht ausgesprochen worden ist.
Für den wirksamen Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung müssen die Voraussetzungen von § 626 BGB vorliegen. Nach § 626 Abs.1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile- jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist- zumutbar ist.
Zu der Verwertung des strafrechtlichen Urteils des Landgerichts führt das BAG aus, dass das Landesarbeitsgericht sich in nicht zu beanstandender Weise die volle Überzeugung im Sinne § 286 ZPO von der Wahrheit des Kündigungsvorwurfs gebildet hat.
Wörtlich führt das BAG aus: „…Ein Zivilgericht darf sich, um sich eine eigene Überzeugung davon zu bilden, ob sich ein bestimmtes Geschehen zugetragen hat, auf ein dazu ergangenes Strafurteil stützen. Zwar sind die in einem strafrichterlichen Urteil enthaltenen Feststellungen für die zu derselben Frage erkennenden Zivilgerichte grundsätzlich nicht bindend. Sie können aber im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Zivilrichters iSv. § 286 Abs.1 ZPO Berücksichtigung finden. Das Strafurteil ist, wenn eine Partei sich zu Beweiszwecken darauf beruft, im Wege des Urkundenbeweises gemäß §§ 415, 417 ZPO zu verwerten.
Aufgrund der Darlegungen des Landgerichts in seinen Urteilsgründen durfte das Landesarbeitsgericht davon ausgehen, dass dort die Ergebnisse der Hauptverhandlung richtig festgehalten worden sind.“
Auf eine erneute Vernehmung der Zeugen konnte das Arbeitsgericht also verzichten und als Beweismittel das Urteil aus dem Strafprozess verwenden.
Praxishinweis:
Als Arbeitgeber steht man häufig vor dem Problem, einen Verdacht einer Straftat dem Arbeitnehmer nicht nachweisen zu können. Abgesehen von der Möglichkeit der Verdachtskündigung, kann der Arbeitgeber auch selbst Ermittlungen anstellen, um den Sachverhalt aufzuklären. Hierbei verfügt er allerdings nicht über die gleichen Befugnisse wie etwa die Staatsanwaltschaft. Daher kann es Sinn ergeben, eine Strafanzeige gegen den Arbeitnehmer zu erstatten und den Staat mit seinen umfangreicheren Befugnissen ermitteln zu lassen. Die Ergebnisse der Ermittlungen können dann unter Umständen – wie im vorliegenden Fall – für ein Kündigungsschutzverfahren verwenden werden. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass der Arbeitgeber grundsätzlich nur zwei Wochen Zeit hat, die außerordentliche Kündigung auszusprechen. Die Frist beginnt, wenn der Arbeitgeber von den die Kündigung rechtfertigenden Umständen Kenntnis erlangt hat. Dieser Zeitpunkt kann sich nach hinten verschieben, wenn der Sachverhalt erst noch aufgeklärt werden muss. Grundsätzlich sollte man hier jedoch aufpassen als Arbeitgeber.